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Vortrag beim Touch Me-Festival, Zagreb, Dezember 2008

Die reproduktive Revolution
Selektionsdruck in einer post-darwin'schen Welt


Hier drei Voraussagen über das Leben in eintausend Jahren:

1) Leiden jeglicher Art wird biologisch unmöglich sein. Unsere Nachfahren werden ein Leben in genetisch vorprogrammiertem Glück leben, dessen ärgste "Tiefpunkte" oberhalb heutiger Gipfelerfahrungen liegen. In eintausend Jahren wird der erbliche "hedonische Sollwert" des regulären Wachdaseins angehoben sein, sodass sich das alltägliche Leben großartig anfühlt.

2) Unsere genetisch optimierten Nachfahren werden nicht altern und sterben, sondern praktisch unsterblich sein, abgesehen von Unfällen, was bedeutet, dass bestimmte Gehirne aus einer digitalen Sicherung wiederhergestellt werden müssen.

3) Posthumane werden von Natur aus klüger sein als wir, nicht einfach im engen, autistischen Sinne einer Intelligenz, wie sie von gegenwärtigen IQ-Tests gemessen wird, sondern in Form einer mehr empathischen Intelligenz. Um einen nicht-wissenschaftlichen Ausdruck zu gebrauchen: Unsere Nachfahren werden "weiser" sein als heutige Menschen.

Das sind gewagte Behauptungen. Sie können natürlich völlig falsch sein: Die Futurologie hat keine brillante Erfolgsgeschichte. Ich werde jedoch erörtern, weshalb diese drei anscheinend nicht miteinander in Verbindung stehenden Entwicklungen - Superglück, Superlanglebigkeit und Superintelligenz - eng zusammenhängen. Wir stehen an der Schwelle einer Revolution der reproduktiven Medizin - dem kommenden Zeitalter der Designer-Babys, einem fundamentalen Wandel der Evolution des Lebens im Universum. Die Evolution wird bald nicht mehr "blind" und "zufällig" sein, wie sie es in den letzten vier Milliarden Jahren war. Stattdessen werden intelligente Agenten die Genotypen unter Vorwegnahme von deren voraussichtlichen verhaltensmäßigen und psychologischen Auswirkungen bestimmen und gestalten. Insbesondere werden künftige Eltern mehr und mehr das genetische Make-Up ihrer Kinder auswählen anstatt genetisches Roulette zu spielen. Die natürliche Auslese wird durch eine "unnatürliche" Auslese ersetzt.

Aber zunächst möchte ich eine ganz andere, biokonservative Sichtweise umreißen, heutzutage vielleicht am besten repräsentiert durch den hervorragenden Genetiker Professor Steve Jones vom University College London.

Zwei gegensätzliche Sichtweisen der zukünftigen menschlichen Evolution

1) BIOKONSERVATISMUS: ["Das Ende der Evolution?"] "Wenn Sie wissen möchten, wie Utopia aussieht, dann schauen Sie sich einfach um - da ist es", sagt Professor Jones in einer Debatte der Royal Society in Edinburgh. In einem Vortrag1 mit dem Titel "Ist die Evolution vorüber?", sagt Professor Jones: "Die Dinge haben für unsere Spezies einfach aufgehört, besser oder schlechter zu werden." Professor Jones erläutert, dass es in der menschlichen Evolution drei Komponenten gab - natürliche Auslese, Mutation und zufällige Veränderung. "Relativ unerwartet haben wir durch eine Veränderung der reproduktiven Muster die menschliche Mutationsquote gesenkt."

"Im Altertum wäre die Hälfte unserer Kinder vor Erreichen des 20. Lebensjahres gestorben. Heute erreichen, in der westlichen Welt, 98% von ihnen das 21. Lebensjahr", sagte Professor Jones kürzlich in einem Interview2 mit der Times. Auch die Mutationsquote verlangsamt sich. Obwohl Chemikalien und radioaktive Verseuchung genetische Veränderungen verursachen können, war das fortgeschrittene Alter des Mannes einer der häufigsten Auslöser von Mutationen. "Vielleicht überraschend, aber das Reproduktionsalter ist gesunken - das durchschnittliche männliche Reproduktionsalter liegt bei 35 Jahren, das heißt, dass die meisten danach keine Kinder mehr zeugen. Weniger ältere Väter bedeuten, dass die Mutationsquote eher sinkt."

Man sollte anmerken, dass einige Wissenschaftler und Kommentatoren aus dem rechten Lager noch weiter gehen als Steve Jones. Sie behaupten, dass die Intelligenz der menschlichen Spezies als Ganzes sinkt, weil [angeblich] intelligentere Menschen weniger Kinder bekommen als [angeblich] weniger intelligente. Diese Prognose wird von der langfristigen Zunahme der IQ-Werte im Verlauf des letzten Jahrhunderts, dem "Flynn-Effekt", nicht bekräftigt. Allerdings kontern Anhänger der so genannten dysgenischen Fertilitätshypothese, es sei möglich, dass der genotypische IQ sinkt, selbst während der phänotypische IQ in der gesamten Population steigt, zumindest auf kurze Sicht. Sie erklären diesen Widerspruch mit umweltbedingten Einflüssen wie bessere Schulbildung, bessere Ernährung, und sogar Fernsehen.

Im Gegensatz zum biokonservativen Blickwinkel:

2) BIOREVOLUTION: Die menschliche Evolution beschleunigt sich. Der Selektionsdruck wird nicht nachlassen. Im Gegenteil, wir stehen am Beginn eines Zeitalters der unnatürlichen bzw. künstlichen Selektion - eine andere Art von Selektionsdruck, aber einer, der ungewöhnlich heftig sein wird, und der eine Reihe völlig anderer Adaptionen begünstigt, als jene Merkmale, die in der Umwelt unserer Vorfahren in der afrikanischen Savanne genetisch adaptiv waren.

Sehen wir uns kurz noch einmal den Hintergrund an. Das Humangenomprojekt (HGP) war das internationale wissenschaftliche Forschungsprojekt mit dem Ziel, die Sequenz der chemischen Basenpaare unserer DNA zu bestimmen: das genetische Make-Up unserer Spezies. Die Forscher identifizierten, physisch und funktionell, die etwa 25.000 Gene des menschlichen Genoms. Das Humangenomprojekt wurde im Jahr 2003 mit einer Genauigkeit von 99,99% formal für abgeschlossen erklärt, obwohl in Wahrheit noch sehr viele Dinge unklar sind. Die gesamte Bedeutung unseres dechiffrierten Codes wurde bislang kaum einer flüchtigen Betrachtung unterzogen. Es könnte Jahrhunderte dauern, bis alles aufgeschlüsselt ist.

Derzeit kostet es ein paar Hunderttausend Dollar, wenn Sie Ihr gesamtes Genom aus etwa drei Milliarden einzelnen Basenpaaren sequenziert haben möchten. Dieser Preis ist für die meisten Menschen unerschwinglich. Aber vielleicht in einem Jahrzehnt könnte der Preis Schätzungen zufolge bei etwa 10 Dollar liegen. Unabhängig vom genauen Preis oder Zeitpunkt, die Kosten für den Zugriff auf den eigenen Quellcode werden massiv schrumpfen. Der routinemäßige Zugriff auf das eigene Genom wird in eine Ära der individuellen Medizin führen - individuelle Medikamente, Dosierungen, und eine speziell auf das Individuum zugeschnittene Gentherapie, anstelle der Schrotflinten-Methode, wie wir sie heute in der klinischen Pharmakologie [und beim Gebrauch von Freizeitdrogen] beobachten können.

Doch wir steuern nicht nur auf eine Ära individueller Medizin zu - wir stehen unmittelbar vor einer Ära der individuellen reproduktiven Medizin: "Designer-Babys", um diesen populären Begriff zu gebrauchen. Dieser Ausdruck hat einen etwas unseriösen Beigeschmack, ähnlich wie Designer-Klamotten. Doch das Auswählen des genetischen Make-Ups für Ihr Kind könnte bald zum Merkmal einer verantwortungsvollen Elternschaft werden, anstatt - wie es heute der Fall ist - die genetischen Würfel zu werfen und zu hoffen, dass sie richtig fallen. Das Widerstreben, nachteilige Gene an unsere Kinder weiterzugeben, wird nicht nur bei eindeutigen, autosomal-dominanten Erbgängen wie bei der Nervenkrankheit Chorea Huntington bestehen. Welche künftigen Eltern würden, wenn sie die Wahl hätten, weiterhin wissentlich Gene für Hämophilie, Sichelzellenanämie oder Muskeldystrophie weitergeben? Man nimmt an, dass jeder von uns durchschnittlich vier tödliche rezessive Gene trägt. In einer Zukunft der post-genomischen, reproduktiven Medizin wird der Selektionsdruck gegen, sagen wir, das Mukoviszidose-Allel - die Ursache für die häufigste lebensverkürzende autosomal-rezessive Erkrankung bei Menschen europäischer Abstimmung - intensiv, wie auch der Selektionsdruck gegen eine ganze Reihe weiterer Gene, die physische Krankheiten verursachen oder dazu beitragen. Derzeit sind wir gewohnt, unsere potentiellen Partner im Netz zu googlen, um mehr über sie herauszufinden. Welche verantwortungsvollen künftigen Eltern werden es in der Zukunft versäumen, die DNA ihres Partners - und ihre eigene - überprüfen zu lassen, bevor sie Kinder bekommen? Das bedeutet nicht, dass jeder, der ein Kind möchte, einen symptomlosen Partner, der jedoch ein rezessives, "schlechtes" Gen trägt, ablehnt. Stattdessen können verantwortungsvolle Eltern Präimplantationsdiagnostik und Keimbahntherapie anwenden, um sicherzugehen, dass potentiell schädliche Gene wie das rezessive Mukoviszidose-Allel nicht an ihre Kinder weitergegeben werden.

Genetisches Roulette kontra Designer-Babys

Doch was ist mit erblichen psychischen Merkmalen, "Persönlichkeitsgenen", die zu psychischem Schmerz beitragen? Es gibt nicht nur keinen Konsens darüber, ob einige von deren schwereren Varianten als pathologisch eingestuft werden sollten. Darüber hinaus sind die Dinge hier auch technisch wesentlich komplizierter als bei monogenen Störungen wie der Mukoviszidose: Dies deshalb, weil es kein jeweils einzelnes Gen "zugunsten von" Depression oder Angststörungen oder Eifersucht oder Zwangsstörungen usw. gibt. Doch es gibt Allele und Genotypen, die für Depression oder Angststörungen oder Eifersucht oder Zwangsstörungen prädisponieren - sowie andere polygene, multifaktorielle psychische Voraussetzungen. Wenn es also ein bestimmtes Allel - eine Gen-Variante - gibt, die es, sagen wir, 5% wahrscheinlicher macht, dass ein bestimmtes Merkmal wie Niedergeschlagenheit oder chronische Angstzustände zutage tritt, oder aber ein Allel, das seinen Träger 5% mehr oder weniger ängstlich, oder mehr oder weniger depressiv macht, wie viele künftige Eltern würden dann wissentlich die weniger angenehme Variante für ihr Kind wählen? Ja, es gibt zahlreiche Komplikationen, beispielsweise Pleiotropie, bei der ein einzelnes Gen eine Vielzahl phänotypischer Merkmale beeinflusst; das alternative Spleißen, bei dem ein einzelnes Gen verschiedene Proteine in unterschiedlichen Ausprägungen produzieren kann; genomische Prägung, eine elternabhängige Form der Genexpression; nicht-mendel'sche Vererbung in Form von transgenerationalen, epigenetischen Effekten; usw. Allgemeiner gesagt: Kritiker einer neuen genetischen Medizin sind beunruhigt über die Schaffung von "Designer-Persönlichkeiten". Bei Gleichheit anderer Dinge werden jedoch die meisten informierten Eltern wahrscheinlich die mitfühlendere Option für ihr Kind wählen. Ein Oxford Ethik-Professor geht jedoch weiter. Julian Savulescu behauptet, dass wir moralisch verpflichtet sind, solche genetischen Baupläne für unsere Kinder zu wählen, die die größte Aussicht auf bestes Leben gewähren, was Professor Savulescu als das Prinzip der prokreativen Wohltätigkeit bezeichnet.

Diese Annahme ist keineswegs vorschnell. Zum Beispiel haben Personen, die zwei Kopien der "kurzen" Version des Serotonin-Transportergens auf Chromosom 17 erben - 5-HTTLPR - ein 80%-iges Risiko, an einer klinischen Depression zu erkranken, wenn sie innerhalb von fünf Jahren drei oder mehr negative Lebenserfahrungen machen. Im Gegensatz dazu haben genetisch robuste Personen, die die lange Version tragen, nur ein etwa ein 30%-iges Risiko, unter ähnlichen Umständen seelisch krank zu werden. Wenn Sie durch Präimplantationsdiagnostik (PID) die Wahl hätten, würden Sie für Ihr künftiges Kind dann die kurze oder die lange Variante des Serotonin-Transportergens wählen? Oder würden Sie eine Wahl ablehnen und auf Gott oder Mutter Natur vertrauen?

Derzeit scheint ein solches Szenario natürlich noch weit hergeholt. Doch werden sich später in diesem Jahrhundert und darüber hinaus künftige Eltern wirklich zu Kursen in Verhaltensgenetik und Molekular-Biopsychologie anmelden, bevor sie Kinder bekommen? Mit Sicherheit sind bestimmte genetische Entscheidungen im Prinzip unkompliziert, beispielsweise die Wahl des Geschlechts, oder ob ein Mukoviszidose-Allel weitergegeben werden soll. Dies wird von einigen verantwortungsvollen Eltern in manchen Ländern bereits praktiziert. Andere genetische Entscheidungen sind jedoch wesentlich komplizierter gelagert, nicht zuletzt die hinsichtlich der "Stimmungs-Gene", die am Ausmaß des durchschnittlichen Wohlbefindens oder Unwohlseins einer Person im Verlauf ihres Lebens beteiligt sind.

Ich persönlich glaube, dass Fortgeschrittenen-Kurse in Verhaltensgenetik oder zumindest eine genetische Beratung für alle moralisch unerlässlich sein werden, bevor er/sie die enorme Verantwortung auf sich nimmt, ein Kind zu haben. Jedoch dürfte diese Art von Ausbildung in absehbarer Zukunft nicht sehr weit verbreitet sein. Die hier vorgestellte Argumentation hängt nicht davon ab. Stattdessen dürfen wir für das Zeitalter einer ausgereiften reproduktiven Medizin eine Fülle benutzerfreundlicher Software-Tools erwarten, die künftige Eltern in die Lage versetzen, verantwortungsvolle genetische Entscheidungen zu treffen - anstatt blind auf ihre Chancen in der genetischen Lotterie des darwin'schen Lebens zu vertrauen. Denn das exponentielle Wachstum der Computerleistung kann in einer neuen Wachstumsindustrie für hochentwickelte Baby-Gestaltungs-Software genutzt werden. Durchschnittseltern müssen also nicht mehr von Molekulargenetik verstehen als der heutige Durchschnitts-Windows-PC-Benutzer vom Maschinencode. Und die Parallelen gehen weiter: Wenn es ethisch akzeptabel ist, dass Sie Stunden damit zubringen, den Desktop Ihres Windows-PCs nach ihren Wünschen zu gestalten, weshalb sollten Sie dann nicht wenigstens auch ein paar Stunden darauf verwenden, dass Ihr künftiges Kind psychisch und physisch gesund ist?

Natürlich eröffnen solche Gestaltungs-Tools ein ethisches und regulatorisches Minenfeld von gigantischem Ausmaß. Das ist jedoch auch bei der sexuellen Reproduktion der Fall: sie ist das genetische Äquivalent zu russischem Roulette - mit dem Leben Ihres Kindes.

Neukalibrierung der hedonischen Tretmühle
Gut, vielleicht werden künftige Eltern, wenn sie einen Kinderwunsch haben, sich dazu entschließen, Allele bzw. Allel-Kombinationen zu meiden, die mit Depression, Angststörungen oder Schizophrenie zusammenhängen. Aber welche Gründe gäbe es, anzunehmen, dass der durchschnittliche hedonische Sollwert der Menschheit als Ganzes immer höher gesetzt werden wird? Erinnern Sie sich, dass wir alle eine Art eingebaute hedonische Tretmühle haben, die die meisten von uns davon abhält, über einen längeren Zeitraum extrem glücklich oder aber extrem unglücklich zu sein - obwohl einem natürlich extremes Unglück wie eine Ewigkeit vorkommen kann, solange es andauert. Unsere hedonische Tretmühle tendiert zu einem ungefähren hedonischen Sollwert, um den herum sich unsere Stimmung in der Regel bewegt. Dieser hedonische Sollwert bestimmt grob das Ausmaß des subjektiven Wohlbefindens oder Unwohlseins, das die meisten Menschen im Verlauf ihres Lebens erfahren. Natürlich sind wir alle von äußeren Umständen abhängig, sowohl angenehmen als auch unangenehmen, die uns stark in Richtung wohl oder unwohl beeinflussen; aber im Laufe der Zeit kehren wir meist wieder zu einem [teilweise] ererbten individuellen Mittelwert zurück. Bei manchen Leuten liegt der hedonische Sollwert tendenziell unterhalb des darwin'schen Durchschnitts: solche Menschen haben ein düsteres Gemüt - was man früher als ein Übermaß an schwarzer Galle bezeichnet hätte. Bei anderen Leuten liegt der hedonische Sollwert oberhalb des Durchschnitts: sie sind veranlagungsgemäß Optimisten. Bei manchen Menschen schwankt die Stimmung sehr stark, andere sind ausgeglichener. Doch abgesehen von der derzeitigen hedonischen Vielfalt, weshalb können wir vorhersagen, dass der typische Standardwert des Wohlbefindens der menschlichen Population sich immer weiter erhöhen wird - auch nachdem Gene, die eine Prädisposition zu Angststörungen und klinischer Depression schaffen, aus dem Genpool entfernt sind?

Die ehrliche Antwort ist, dass wir es nicht genau wissen können. Es ist also Spekulation. Hier jedoch ein Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Möglichkeit, die genetische Grundeinstellung für den hedonischen Sollwert Ihrer künftigen Kinder zu bestimmen, den Grad, zu welchem diese veranlagungsgemäß depressiv oder glücklich sind - oder superglücklich. Der Einfachheit halber werde ich nicht auf die reicheren Formen des emotionalen Wohlbefindens eingehen, nur auf den normalen hedonischen Tonus, von dem wir wissen, dass er teilweise erblich ist. Welche durchschnittliche Stufe des hedonischen Tonus auf einer 10-Punkte-Skala würden Sie für Ihre Kinder wählen? [Auch hier vereinfache ich ganz bewusst]. Auf der unwissenschaftlichen Basis einiger Probeumfragen, die ich Laufe der Jahre durchgeführt habe, schätze ich, dass die meisten Menschen, wenn sie dazu gezwungen wären, eine hedonische 8 oder 9 wählen würden. Doch eine überraschende Anzahl der Befragten sagt "10": sie möchten, dass ihre Kinder veranlagungsmäßig so glücklich wie möglich sind. Realistisch betrachtet, möchte vielleicht nur eine Minderheit künftiger Eltern anfänglich Kinder haben, die im Rahmen der zeitgenössischen Maßstäbe von Natur aus superglücklich sind. Doch die meisten Eltern werden glückliche Kinder wollen, keine depressiven, launischen oder angstbeherrschten. Nicht zuletzt deshalb, weil es mehr Freude macht, glückliche Kinder großzuziehen. Glückliche, belastbare und selbstbewusste Kinder sind außerdem mit größerer Wahrscheinlichkeit "erfolgreiche" Überleister im traditionellen darwin'schen Sinn. Wir müssen nicht glauben, dass künftige Eltern ausschließlich um das Glück ihrer Kinder besorgt sind: Viele werdenden Eltern sind natürlich auch in hohem Maße ehrgeizig in Bezug auf ihren Nachwuchs. Aus diesem Grund wird der durchschnittliche genetisch bestimmte Sollwert des emotionalen Wohlbefindens unserer Spezies im Laufe der Zeit als Ausdruck solcher individuellen elterlichen Entscheidungen steigen, da die Optimierungs-Technologien von morgen die sozialen Normen des Wohlbefindens verlagern und zu den Heiltherapien der Folgegenerationen werden. Der depressive Realismus des einen Jahrhunderts könnte im nächsten schon als affektive Psychose gelten. Im Laufe der Zeit könnte ein ähnlicher Selektionsdruck auch zugunsten von Allelen und Allel-Kombinationen entstehen, die für hohe Intelligenz prädisponieren - und vielleicht sogar für Genialität oder Super-Genialität - obwohl hier jeglicher Beitrag zu erhöhter Lebensqualität indirekter Natur wäre. In jedem Fall können wir vorhersagen, dass für eine ganze Reihe physischer und psychischer Merkmale, wenn sich der durchschnittliche Grad des biologischen Wohlbefindens in der menschlichen Gesellschaft verbessert, Keimbahn-Optimierung zur Keimbahn-Korrektur wird. Wie der Biophysiker Gregory Stock in Redesigning Humans (2002) bemerkt: "Das Erscheinen sicherer und zuverlässiger Keimbahn-Technologie wird [...] den Evolutions-Prozess verändern, indem die Reproduktion zu einem hochselektiven sozialen Prozess wird, mit dem erfolgreiche Gene wesentlich schneller und effektiver verbreitet werden können, als mit traditionellem sexuellem Wettbewerb und Partnerwahl." Daher könnte sich das Tempo zu einer weltweiten Verbesserung der Gestimmtheit erhöhen.

Entscheidend ist, dass die Annahme einer Optimierung der genetischen Gestimmtheit nicht die künftige Existenz eines Mega-Projekts zur Schaffung einer glücklicheren Welt voraussetzt. Die Möglichkeit eines solchen pan-globalen Projekts kann nicht ausgeschlossen werden - grandios und phantastisch, wie die Idee eines Hedonistischen Imperativs (1995) jetzt klingt. Derzeit stellt nur das winzige himalayische Königreich Bhutan das Bruttonationalglück (BNG) offiziell über das Bruttonationaleinkommen (BNE). Wenn hedonische Optimierung internationalisiert und mit wissenschaftlicher Strenge verfolgt würde, dann würde der Selektionsdruck gegen hässlichere darwin'sche Genotypen noch heftiger ausfallen als hier erwartet. Ich persönlich befürworte, dass ein weltweites abolitionistisches Projekt als offizieller Grundsatz der Vereinten Nationen festgeschrieben wird. Nicht zuletzt deshalb, weil nur ein globales Mega-Projekt je in der Lage sein kann, die Abschaffung des Leidens auf den Rest der belebten Welt auszudehnen. Neugestaltung der Ökosysteme, spezies-übergreifende Depot-Kontrazeption, und schließlich die Überschreibung des gesamten Wirbeltier-Genoms kann nicht in Eigeninitiative erreicht werden. Jedoch steht ein solches Mega-Projekt noch nicht unmittelbar bevor. Weniger aufwendig könnte eine globale Optimierung der Gestimmtheit das gemeinschaftliche Ergebnis von Milliarden persönlicher reproduktiver Einzelentscheidungen sein, die während der nächsten Jahrhunderte von werdenden Eltern getroffen werden.

In der Sprache von Designer-Babys ausgedrückt: Die Aussicht auf eine spezies-umfassende hedonische Optimierung evoziert finstere Bilder - obwohl sie verspricht, die Welt zu einem wesentlich glücklicheren Ort zu machen. Möchten wir wirklich, dass Eltern das Schicksal ihrer künftigen Kinder bestimmen? Wir müssen jedoch vorsichtig sein, wie wir das Thema hier formulieren. Eine gute physische Gesundheit stärkt einen, bestimmt jedoch nicht, was man mit seinem Leben anfängt. Genauso wenig ist dies der Fall, wenn man veranlagungsmäßig glücklich und psychisch robust ist. Wie physische Gesundheit, wirkt auch eine seelische Gesundheit eher befähigend als einschränkend. Genetisch verankerte seelische Super-Gesundheit tut dies möglicherweise in noch stärkerem Ausmaß. Sie macht einen psychisch unzerstörbar. Sie werden nie depressiv oder angstgetrieben sein - und unter dem lähmenden Verlust von Lebenschancen leiden müssen, den ein solcher Zustand mit sich bringt. Außerdem kann in der Zukunft jeder, der mit bestimmten Aspekten seiner Kernpersönlichkeit nicht zufrieden ist, und der keine bewusstseins-verändernden Medikamente einnehmen möchte, um dies zu ändern, somatische Gen-Therapie durchführen lassen. Wir werden nicht immer auf die Gnade der zusammengerührten Gen-Mischung unserer Eltern angewiesen sein wie heute, ob diese Gene nun zufällig oder planmäßig an uns weitergegeben wurden.

Nozizeption in der Zukunft: Das Ende des physischen Schmerzes

Bisher habe ich über die Abschaffung des Leidens gesprochen, und wie psychischer Schmerz im Laufe der Zeit genetisch eliminiert werden kann. Doch was ist mit der schrecklichen Geißel des rohen physischen Schmerzes? Sicher, Skeptiker könnten einwenden, dass Gene, die eine Schmerzempfindlichkeit gegenüber der Zerstörung von Gewebe begünstigen, in eintausend Jahren ebenso adaptiv sind wie heute - und wie sie es in der Umgebung der Vorfahren waren. Also klingt die Voraussage, dass in tausend Jahren die schlimmste Erfahrung, die jemandem zustoßen kann, reicher ist als heutige Gipfelerfahrungen, wie ein Hirngespinst. Wie sollte dies auch nur technisch möglich sein, geschweige denn soziologisch realistisch?

Nun, es gibt eine kurz- bis mittelfristige Lösung und eine langfristige. Sehen wir uns zunächst die kurz- bis mittelfristige Option an.

Die Cyborg-Lösung kontra radikale Neukalibrierung
Derzeit gibt es verschiedene "natürliche" Gen-Varianten, die unterschiedliche Stufen von Schmerzempfindlichkeit begünstigen, z. B. Allel-Varianten des Gens SCN9A, das die ?-Untereinheit des spannungsabhängigen Natriumkanals Nav1,7 von Nozirezeptoren kodiert, Varianten des µ-Opiat-Rezeptor-Gens, und des Gens, das die Catechol-O-Methyltransferase (COMT) kodiert. In der Zukunft werden wenige werdende Eltern Kinder haben wollen, die hyper-sensibel auf körperlichen Schmerz reagieren. Die meisten Eltern werden wohl, wenn sie die Wahl haben, höchstens eine geringe bis gemäßigte Schmerzempfindlichkeit für ihre Nachkommen wählen. Sollte also die genetisch geplante Elternschaft jemals zur Norm werden, dann dürften wohl auch unsere Schmerz-Thermostate (oder "Algostate", wie man sie nennen könnte) im Lauf der Zeit nachgestellt werden.

Aber diese Neukalibrierung schafft das Leiden nicht wirklich ab, sie verringert lediglich dessen Vorherrschaft und Intensität, wenn physischer Schmerz auftritt. Außerdem sind Kinder, die ohne jegliche Fähigkeit zur Schmerzempfindung auf die Welt kommen, derzeit allen möglichen lebensbedrohenden medizinischen Komplikationen ausgesetzt, wie die seltenen Fälle von kongenitaler Analgesie belegen. Bedeutet das, dass wir den Schmerz auf die eine oder andere Weise für immer am Hals haben?

Nein, obgleich es immense technische Herausforderungen zu überwinden gilt. Wenn wir den körperlichen Schmerz vollständig abschaffen wollen, so gibt es, denke ich, zwei langfristige Optionen. Diese schließen sich gegenseitig nicht aus, aber ich werde getrennt darauf eingehen. Rufen Sie sich ins Gedächtnis, wie Silikon (etc.)-Roboter mit der entsprechenden funktionalen Architektur problemlos ohne die hässlichen "Qualia" von phänomenalem Schmerz über die Runden kommen. Sie können darauf programmiert werden, schädliche Stimuli flexibel und adaptiv zu vermeiden bzw. auf diese zu reagieren. Ohne Frage gibt es einen Unterschied zwischen der physiologischen Funktion von Nozirezeption und der subjektiven Erfahrung von phänomenalem Schmerz; sie sind voneinander trennbar, selbst bei organischen Robotern wie uns, nicht nur bei unseren anorganischen Gegenstücken. Ebenso könnten zukünftige Menschen theoretisch computertechnisch in der Lage sein, alles Unangenehme oder jegliche Routine auf Prothesen, Nanobots und dergleichen auszulagern, sodass nur die lebensbereichernden Formen des Fühlens bewahrt werden, und der hässliche darwin'sche Müll ausrangiert. Dies könnte man als die Cyborg-Lösung bezeichnen. Der Hauptvorteil der Cyborg-Lösung ist, dass sie, langfristig betrachtet, maximales, lebenslanges Glück für alles fühlende Leben erlaubt. Daher scheint im Rahmen einer klassischen utilitaristischen Ethik ihre Einführung letztlich zwingend. Aber angenommen wir gehen nicht den Weg des Cyborgs, so gibt es eine andere Option. Im Prinzip können wir die Skala der Lust-Schmerz-Achse im Geist/Gehirn radikal zurücksetzen. Alles, was ein Organismus benötigt, um adaptiv auf eine sich verändernde und möglicherweise feindselige Umgebung zu reagieren, ist eine informationelle Empfänglichkeit für fitness-relevante Veränderungen - einschließlich des dualen Gegensatzes von "wundervoll" und "nicht-ganz-so-wundervoll" - unabhängig vom Gezeitenhub unserer Emotionen auf einer absoluten hedonischen Skala; ein kleiner Bereich von Stufen des Wohlbefindens kann theoretisch eine analoge Rolle spielen wie heutzutage die Schmerz-Stufen bei Opfern eines chronischen Schmerz-Syndroms.

Diese Hypothese ist kontraintuitiv. Man kann sich vorstellen, dass, wenn Menschen sich ständig mehr oder weniger super-gut fühlen - sowohl physisch als auch psychisch - sie nicht mehr motiviert sind, umsichtig zu handeln; sie werden daher dazu neigen, sich selbst zu verletzen, physisch, emotional oder beides. Wer könnte adaptiv auf die Welt reagieren, wenn er von einem dauerhaften Ganzkörper-Orgasmus in Anspruch genommen wird? Aber das ist nicht die Folge. Wie wir heute wissen, sind die glücklichsten Menschen, die eifrigsten Lebensliebhaber, tendenziell auch die am meisten motivierten. Es sind die Depressiven, die zum Unmotiviertsein neigen. Ja, es gibt Arten von Glück, die man mit Trägheit in Verbindung bringt, zum Beispiel opiumgeschwängertes Glück. Aber es gibt ebenso Arten des Glücks, die man mit intensiver Motivation, Vorausplanung und zielgerichtetem Verhalten verbindet, so genannte hyperdopaminergische Stadien. Wie auch immer, unsere Nachfahren und vielleicht auch wir selbst, wenn wir älter sind, können wählen, welche Arten von physischem und emotionalem Wohlbefinden wir genießen möchten, und haben die Wahl, welche genetischen Prädispositionen wir an die nächste Generation weitergeben. Wenn Sie kein weiteres Leiden in die Welt bringen wollen, dann besteht die einzige Möglichkeit derzeit darin, keine Kinder zu haben. In der Zukunft können wir grausamkeits-befreite Kinder mit einem klaren Bewusstsein haben - zumindest in dieser Hinsicht.

Stufen des Glücks?
Was für körperlichen Schmerz und Depression zutrifft, gilt auch für andere negative Geistesverfassungen. Daher bedeutet die Voraussage, dass das Leben in tausend Jahren sich um viele Größenordnungen besser anfühlt als heute, nicht, dass Post-Humane gleichförmig glücklich sind oder dass das Leben in der Zukunft perfekt sein wird, was immer das auch heißen mag. In der Tat kann man behaupten, dass Unzufriedenheit der Motor des Fortschritts ist, und dass funktionale Analogien der Unzufriedenheit sehr wahrscheinlich auch in tausend Jahren noch bestehen werden, so wie deren Qualia heute existieren. Zugegeben, es ist schwer zu sagen, ob (Post-)Humane im vierten Jahrtausend mit etwas ausgestattet sein werden, das auch nur funktional jenen Kernemotionen ähnelt, die unser Leben heute bestimmen. Die molekularen Signaturen einiger Emotionen, wie beispielsweise Ekel, Panik oder Eifersucht, könnten gänzlich abgeschafft sein, sowohl phänomenal als auch funktional, wohingegen Gene und regulatorische Codes für neue, lebensbereichernde Emotionen individuell eingerichtet und in das Genom gespleißt werden können. Unsere perzeptorische und kognitive Architektur wird vermutlich ebenfalls genetisch neu gestaltet werden - wahrscheinlich auf eine Art, die jenseits der heutigen menschlichen Vorstellungskraft liegt. Doch sind derlei Innovationen nicht essentiell für eine verbesserte Lebensqualität. Die funktionalen Analogien von Angst und Depression könnten noch vorhanden sein und dennoch könnte das Leben subjektiv immer wundervoll sein - weil es technisch möglich ist, die funktionale Rolle von der subjektiven Textur unangenehmer Erfahrungen, wie wir sie jetzt empfinden, abzukoppeln.

Entscheidend ist, dass ich nicht behaupte, dass unsere Nachfahren einförmiges Glück genießen werden, und sicher auch nicht, dass sie manisch oder "euphorisch" sind, einfach nur, dass die genetisch festgelegte Untergrenze ihres verhältnismäßigen Unwohlseins höher liegt als die absolute Obergrenze unseres Wohlbefindens. Kontinuierliche Keimbahn-Optimierung im Laufe von Generationen wird ein neues motivationales System schaffen. Seine Mechanismen zur emotionalen Selbstregulierung werden die darwin'sche Lust-Schmerz-Achse transzendieren. Dank der sich anbahnenden reproduktiven Revolution wird ein fortwährender Selektionsdruck zugunsten der Biologie einer subjektiv verbesserten Lebensqualität entstehen. Die Gleichstellung von Nettowert und Nettoglück nach Art der klassischen utilitaristischen Ethik mag simplifizierend sein oder nicht; jedoch ist die Anerkennung einer Verbindung zwischen verbessertem Wert und verbessertem emotionalen Wohlbefinden in einem breiten Spektrum ethischer Systeme gebräuchlich, sowohl in religiösen als auch in säkularen. Nur wenige ethische Systeme geben dem emotionalen Wohlbefinden kein Gewicht. Wenn ein Musikstück also tausend Mal hinreißender klingt als dessen Vorgänger, ein Kunstwerk tausend Mal schöner anzusehen ist als irgendetwas anderes, gegenwärtig physisch Mögliches, dann muss meiner Ansicht nach die Grundannahme so sein, dass eine solch überwältigende Schönheit tatsächlich eine gute Sache ist - in Ermangelung überzeugender Gegenargumente. Die neuen Genwahl-Technologien erlauben die Schaffung von subjektiv wertvollen Erfahrungen in einem wahrhaft erstaunlichen Ausmaß. Bei Gleichheit anderer Dinge, sollten wir deren Gebrauch annehmen.

Spirituelles Wohlbefinden?
Der Denkansatz, den ich bislang ausgebreitet habe, klingt wahrscheinlich grob reduktionistisch. Aber man muss Superglück nicht in einem engen, eindimensionalen Sinn interpretieren. Nehmen Sie als Beispiel Spiritualität und spirituelles Wohlbefinden. Heutzutage existiert eine mehrfache Variabilität hinsichtlich der Serotin 5-HT(1A)-Rezeptordichte. Menschliche 5-HT(1A)-Rezeptordichte ist umgekehrt proportional verknüpft mit dem Grad von spiritueller Akzeptanz. In der Zukunft können Sie, wenn Sie sehr spirituell sind und hyper-spirituelle Kinder wollen, die entsprechenden Gene oder Allel-Kombinationen, die spirituelles Temperament begünstigen, verstärken oder abschwächen; und vielleicht schließlich engelhafte "spirituelle" Genome für Ihre Kinder schaffen. Wenn Sie freilich selbst von Natur aus super-spirituell sein wollen, jedoch keine entheogenen Medikamente einnehmen möchten, könnten Sie eine autosomale Gen-Optimierung vornehmen lassen und einige Kopien des Serotonin 5-HT(1A)-Gens (etc.), welches mit Spiritualität in Beziehung steht, hinzufügen oder dessen Varianten verstärken. Säkulare Rationalisten auf der anderen Seite, wollen vielleicht das genetische Fundament eines eher weltlichen Wohlbefindens legen.

Um ein weiteres Beispiel von multidimensionalem Wohlbefinden anzuführen: Werdende Eltern dürften in der Lage sein, Gene und Genotypen zu wählen, die mit Intelligenz verknüpft sind - nicht nur im naiv-konventionellen Sinn, sondern mit einer erhöhten Fähigkeit zur Empathie, was verstärkte Spiegelneuronen und verbesserte soziale Wahrnehmung beinhaltet. Werdende Eltern werden die Möglichkeit haben, Ihre Kinder mit einem verbesserten Oxytocin-System auszustatten, was zu größerem Vertrauen, einem großzügigeren Geist und pro-sozialem Verhalten führt, möglicherweise mit einem immensen Nutzen für die Gesellschaft als ganzes. Solche Szenarien sind natürlich spekulativ.

Eine reproduktive Elite?

Eine Frage drängt sich auf. Werden diese neuen reproduktiven Technologien nicht ausschließlich für die Reichen zur Verfügung stehen, oder zumindest hauptsächlich für die Mitglieder der wohlhabenden Nationen, die sich die besten Gene kaufen können, und untergräbt dies nicht das hier vorgebrachte Argument des Selektionsdrucks?

Anfangs sicherlich ja. Aber nicht lange, selbst wenn man [unwahrscheinlicherweise] davon ausgeht, dass die ärmsten Nationen der Welt für immer arm bleiben. Bedenken Sie einmal, wie schnell sich internetfähige Mobiltelefone selbst im verarmten Schwarzafrika verbreitet haben. Wenn persönliches Genom-Sequencing immer um $ 200.000 kostet, so wie jetzt [Dezember 2008], dann kann nur eine Elite begüterter Abendländer von solchen Durchbrüchen profitieren. Kostet es allerdings nur $ 10 oder weniger, dann kann es praktisch jeder haben. Information, Informations-Technologie und IT-basierte Services verbrauchen keine raren natürlichen Ressourcen, in der Art, wie es materielle Güter tun, wo ein Gewinn für eine Person häufig für eine andere einen Verlust bedeutet. Nur eine Handvoll Menschen in der Welt kann jemals einen Rolls Royce oder Maserati besitzen, noch weniger können sich einen originalen Picasso oder einen Alten Meister leisten, aber eine unbegrenzte Zahl von Menschen kann die ganze Musik der Welt anhören, kann auf alle elektronischen Spiele, Computer-Software, Filme und sogar auf die gesamte Kongress-Bibliothek zugreifen. Information ist praktisch kostenlos, zumindest wird sie dies bald sein. Reproduktive Technologien wie Präimplantations-Genom-Screening (PGS) und -Diagnose (PGD) - Techniken, die dazu dienen, genetische Defekte bei durch In-Vitro-Fertilisation erzeugten Embryonen schon im Vorfeld einer Schwangerschaft zu identifizieren - werden später in diesem Jahrhundert ebenfalls spottbillig sein. Schon jetzt sind primitive persönliche Genotypisierungs-Dienste für ein paar hundert Dollar zu haben.

Natürlich ist es einfach, ein fröhliches Liedchen mit dem Wörtchen "bald" zu singen. Ich bemäntele damit eine Menge Probleme in der Übergangsphase zwischen der altmodischen sexuellen Reproduktion und einer wahrhaft geplanten Elternschaft. "Bald" kann in diesem Kontext Jahrzehnte bedeuten, oder vielleicht Jahrhunderte. Doch selbst wenn man von äußerst vorsichtigen Schätzungen ausgeht, stehen wir am Rande einer bedeutenden Diskontinuität in der vier Milliarden Jahre dauernden Odyssee der Evolution auf der Erde.

Einige Unbekannte

Menschliches Klonen
Eine große Unbekannte, die alle Hypothesen über künftigen Selektionsdruck betrifft, ist die Rolle des menschlichen Klonens. Ob es noch fünf oder fünfzig Jahre dauert, bis reproduktives Klonen beim Menschen möglich ist, es wird auf jeden Fall kommen. Weniger klar sind die Kosten und die erforderliche Kompetenz, wenn die Technik ausreift, sowie die globalen Auswirkungen auf den Selektionsdruck. Wenn für menschliches Klonen stets ein großes Forscher-Team, komplizierte medizinische Apparate, viele fehlgeschlagene Versuch und eine riesige Summe Geld nötig sind, dann wird es wahrscheinlich immer selten bleiben. Aber wenn es je billig und sicher zu Hause gemacht werden kann, mit Do-It-Yourself-Klon-Kits, die man übers Internet bestellt, dann könnte das menschliche Klonen zu einer üblichen Art werden, Babys zu machen, ohne Rücksicht auf offizielle Gesetze und Vorschriften.

Lassen Sie uns der Argumentation halber annehmen, dass menschliches Klonen schließlich eine übliche Form der Reproduktion wird. Es ist nicht klar, ob dies per se eine schlechte Entwicklung ist, ebenso wenig wie eineiige Zwillinge oder Drillinge an sich schlecht sind. Wie auch immer, diese Möglichkeit scheint viel Sand ins Getriebe des Selektionsdruck-Arguments zu werfen, das ich hier vorbringe, da genetisch identische Baby wahrscheinlich dieselben Probleme haben wie ihre Eltern, wenn sie einer ähnlichen Umgebung ausgesetzt sind.

Doch scheint die Annahme vernünftig, dass die meisten künftigen menschlichen Kloner nicht danach trachten, exakte genetische Duplikate ihrer selbst zu erschaffen, sondern stattdessen danach streben, dass die Nachkommen nicht die Gebrechen oder unerwünschten Eigenschaften ihrer Eltern haben. Um ein triviales Beispiel anzuführen: Ein menschlicher Kloner mit dünnem Haar will nicht unbedingt ein geklontes Kind mit Prädisposition zur Glatze. Zugegeben, die meisten Asiaten, die einen Klon wollen, möchten sicher, dass ihr Kind asiatisch aussieht, die meisten Blauäugigen wollen vermutlich blauäugige Kinder. Aber wahrscheinlich wollen Träger des Mukoviszidose-Allels dieses defekte Gen nicht an ihre geklonten Nachfahren weitergeben. Ebenso wenig dürften sich die wenigsten depressiven Menschen, die sich klonen lassen wollen, depressive Kinder wünschen. Fälle von "negativer Verstärkung", dass also beispielsweise bei einer Präimplantationsdiagnostik ein Embryo wegen einer ganz bestimmten Behinderung, wie z. B. elterlicher Taubheit, ausgewählt wird, dürften wohl eher ungewöhnlich sein. Ja, wenn menschliches Klonen weit verbreitet ist, und sicher dann, wenn es kostengünstig und ubiquitär zur Verfügung steht, wird das hier verteidigte Selektionsdruck-Argument komplexer; aber die Praxis würde dessen Folgerung nicht fundamental untergraben.

Autosomale Gentherapie und Optimierung
Eine weitere Unbekannte, die zur Komplexität des Selektionsdruck-Arguments hinzukommt, ist die künftige Verbreitung von autosomaler Gentherapie. Ich habe mich auf Reproduktions- bzw. Keimbahn-Gentherapie und genetische Optimierung konzentriert, aber sicherlich wird auch somatische Gentherapie verfügbar sein und vermutlich ausgiebig genutzt werden. Schließlich, wenn Sie die Wahl hätten, für den Rest Ihres Lebens ein Medikament zu nehmen, um einem physischen oder psychischen Gebrechen abzuhelfen, oder dieses Defizit mit einer einzigen Gentherapie-Behandlung kurieren könnten, wofür würden Sie sich entscheiden - wenn Sie sicher sein könnten, dass Gentherapie gefahrlos und wirksam ist? Dasselbe gilt für künftige Optimierungs-Technologien - obwohl Korrektur kontra Optimierung eine naive Dichotomie ist.

Mögliche Fallstricke

Das Schreckgespenst der Zwangs-Eugenik
Jeder, der der bevorstehenden reproduktiven Revolution unkritisch enthusiastisch gegenübersteht, täte gut daran, über die Geschichte des 20. Jahrhunderts nachzudenken. Mit den Worten des Bioethikers Nicholas Agar: "Wer nicht aus der Geschichte der menschlichen Optimierung lernt, könnte dazu verdammt sein, sie zu wiederholen." Man erinnert sich an Zwangs-Segregation, Sterilisierung, Rassenhygiene, Euthanasie und schließlich den Genozid, durchgeführt im pseudowissenschaftlichen Namen der Eugenik. Könnte die bevorstehende reproduktive Revolution zu einem ähnlichen Horror werden? Immerhin gibt es noch immer eine Menge Leute in der Welt, die davon überzeugt sind, dass einige Rassen intellektuell oder moralisch anderen überlegen sind. Könnte sich die Geschichte wiederholen?

Die kurze Antwort lautet ja, obwohl ich glaube, dass solche Szenarien unwahrscheinlich sind. Zunächst einmal beruhten alle totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts, nicht zuletzt das Dritte Reich, auf Zensur und einem staatlichen Informationsmonopol. Das Internet macht die Errichtung von totalitären Diktaturen wesentlich schwieriger. Wie sehr richtig gesagt wird, interpretiert das Internet eine Zensur als Beschädigung und leitet um. Das ist jedoch eindeutig ein riesiger Themenkomplex. Alles, was ich hier sage, ist, dass gewaltiger Unterschied besteht zwischen einem regulativen System, in dem Eugenik [unter welcher Bezeichnung auch immer] zum Wohl des Individuums eingesetzt wird - egal ob menschlich oder nicht-menschlich - und andererseits einer autoritären Gesellschaft, in der Eugenik zum vorgeblichen Nutzen einer Klasse, Rasse oder Nation praktiziert wird.

Allerdings gibt es ohne Frage eine Menge Probleme mit der so genannten liberalen Eugenik. Zum Beispiel, wenn werdende Eltern Optimierungen wählen, die ihren Kindern lediglich einen positionalen Vorteil verschaffen. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Wenn Eltern Gene wählen, die es wahrscheinlich machen, dass ihr Kind größer wird als der jeweilige Durchschnitt, so ergibt dies weder für das Kind noch für die Gesellschaft einen Nettonutzen, wenn die meisten anderen Eltern dasselbe tun. Sollte die menschliche Statur tatsächlich wesentlich größer werden, als sie es heute ist, so wären wir alle, durch die Gravitationskräfte der Erde, anfällig für zahlreiche gesundheitliche Probleme. Selbst Optimierungen, die zu einer überragenden Intelligenz beitragen können - das Überbetonen oder Hinzufügen zusätzlicher Kopien des NRP2-, ASPM oder Microcephalin-Gens, um ein umstrittenes Beispiel zu nennen - und bei denen man denken könnte, dass sie einen wesentlichen Nutzen bieten, könnten wohl positionalen Gütern wie Größe gleichkommen. Daher neigen Frauen dazu, Intelligenz bei zukünftigen Partnern sexy zu finden. Doch das, was dem gescheiten männlichen Träger hinsichtlich eines gesteigerten Sex-Appeals einen Vorteil verschafft, ist relative - nicht absolute - Intelligenz. Als Gegenargument könnte man anführen, dass hohe Intelligenz bei Männern auch einen inhärenten Nutzen hat - neben jenem, anziehend auf Frauen zu wirken.

Im Gegensatz zu einem Eingreifen, das einen positionalen Vorteil verschafft, wären genetische Optimierungen, die das subjektive Wohlbefinden bereichern - einfach ausgedrückt, ob Sie veranlagungsmäßig glücklich oder superglücklich sind - an sich nutzbringend; sie können potentiell für alle ein Gewinn sein, unabhängig davon, wo man auf einer relativen Skala des Wohlbefindens liegt. In der Tat sind Technologien, die das emotionale Wohlbefinden biologisch bereichern, wohl die einzigen Optimierungen, die an sich gut sind - im Gegensatz zu positional oder instrumentell gut. Diese Behauptung ist eindeutig kontrovers; sie würde von vielen Bioethikern bestritten, die keine klassischen Utilitaristen sind.

Weitere Fallstricke?
Obwohl Designer-Genome im Prinzip zu einer wesentlich größeren Diversifikation führen können, könnten sie in der Praxis nicht doch zu größerer genetischer Uniformität führen - wenn die meisten Eltern ähnliche Arten von "idealen" Kindern wollen, die super-normale Reflexion von Vorzügen, die in unserer darwin'schen Vergangenheit adaptiv waren? Zugegeben, bestimmte Arten genetischer Uniformität sind wahrscheinlich wünschenswert. So wäre es nach allgemeiner Übereinkunft ein Segen, wenn es kein Gen zugunsten der Chorea Huntington (HD) gäbe. Doch hat die Eugenik des 20. Jahrhunderts Phänomene wie den heterozygoten Vorteil - in der Regel definiert als Fälle, bei denen der heterozygote Genotyp eine höhere relative Fitness aufweist als entweder der homozygot-dominante oder der homozygot-rezessive Genotyp - außer Acht gelassen. Der heterozygote Vorteil erklärt, weshalb einige Arten von genetischer Variabilität, am bekanntesten das Gen zugunsten der Sichelzellenanämie, fortbestehen. Analoge heterozygote Vorteile könnten auch für psychische Merkmale existieren, was jedoch nicht bewiesen ist.

Was auch der evolutionäre Ursprung sein mag, nachfolgend drei Beispiele, bei denen der Fall kompliziert liegt.

Die Zukunft der Homosexualität: Selbst wenn Sie absolut keine Vorurteile gegenüber Homosexualität haben, würden Sie so genannte schwule Gene für Ihr Kind wählen - Allel-Varianten, die ihr Kind fürs Schwulsein prädisponieren? Natürlich ist es möglich, dass in 50 oder 150 Jahren Homophobie in den Mülleimer der Geschichte verbannt wurde, wo sie hingehört, aber ich würde mich nicht darauf verlassen. Welcher Prozentsatz werdender Eltern, ob hetero-, homo- oder bisexuell, würde sich in der Zwischenzeit bewusst für ein schwules Kind entscheiden, wenn sie genau wüssten, dass dieses Kind aufgrund bestehender Vorurteile in seinem Leben wahrscheinlich größere soziale Probleme hätte? Wenn dies der Fall ist, und wenn es tatsächlich eine reproduktive Revolution gibt, so wie hier beschrieben, dann ist es einigermaßen wahrscheinlich, dass man sich in starkem Maß gegen Gene entscheidet, die für Homosexualität und möglicherweise selbst Bisexualität prädisponieren. Sie könnten sogar aussterben. Wenn man sich in der menschlichen Geschichte von der klassischen Antike bis zur Gegenwart die Beiträge betrachtet, die von Menschen geleistet wurden, die wir wahrscheinlich als schwul oder bisexuell klassifizieren würden, und dagegen die Beiträge ihrer engen genetischen Verwandten, dann kann man dieses Ergebnis nicht leichtfertig abtun. Auf der anderen Seite ist es natürlich möglich, dass viele schwule Paare die neuen Reproduktions-Technologien nutzen, um schwule Kinder zu haben, was das Szenario vom Aussterben der Schwulen hinfällig macht.

Die Zukunft der bipolaren Störung: Chronische unipolare Depression ist ein fürchterliches Leiden; doch wie steht es mit der bipolaren Störung, früher als manische Depression bezeichnet? Auch eine bipolare Störung kann zweifelsohne schreckliches Leiden verursachen, sowohl für die Opfer als auch für deren Familien. Doch viele kreative Überleister in Kunst, Wissenschaft und Politik hatten zumindest eine leichte bipolare Störung. Besteht die Gefahr, dass etwas Wertvolles verloren geht, wenn in der Zukunft werdende Eltern Allele, die mit Bipolarität in Verbindung stehen, aus dem Gen-Pool ausmerzen? Auch dies ist ein umfassendes Thema.

Die Zukunft der Autismus-Spektrum-Störungen: Klassischer Autismus ist charakterisiert durch verschiedene Stufen von "Geistesblindheit" und Defiziten in der sozialen Interaktion, Defiziten bei Sprache, Kommunikation, der Fähigkeit zu sozialem Spiel, sowie zahlreichen stereotypen Verhaltensweisen. Die drei häufigsten Form von Autismus-Spektrum-Störungen sind der klassische Autismus, die tiefgreifende Entwicklungsstörung - nicht näher bezeichnet (PDD-NOS) und das Asperger-Syndrom. Während Kinder mit, sagen wir Trisomie 21 (Down-Syndrom) oder Williams-Syndrom abnorm kontaktfreudig sein können - und daher angenehm zu erziehen sind - verursachen im Gegensatz dazu autistische Kinder mit einer fehlenden oder unterentwickelten Mentalisierung ihren Bezugspersonen meist große Verzweiflung. Es ist schwierig, zu jemandem eine Beziehung aufzubauen, der Sie immer als Objekt behandelt. Daher scheint jede genetische Disposition zu Autismus ein Spitzenkandidat für die Ausmerzung aus dem Gen-Pool, wenn die reproduktive Revolution an Geschwindigkeit zulegt. Doch einige der größten Wissenschaftler, die jemals gelebt haben, insbesondere Newton, Einstein und Dirac, erfüllen viele oder alle diagnostischen Kriterien des Asperger-Syndroms. In welchem Maß ist deren wissenschaftlicher Scharfsinn von ihrer Geistespathologie zu trennen?

Abwägen des Risiko-Nutzen-Verhältnisses

Wenn die neue reproduktive Medizin wahrscheinlich so viele potentiell nachteilige bzw. ungewollte Konsequenzen birgt - und vielleicht dystopische Folgen, die nie jemand bedacht hat - weshalb sie dann voranbringen? Warum die neuen reproduktiven Technologien nicht gänzlich verbieten, oder deren Einsatz zumindest drastisch auf einfache körperliche mendel'sche Erbkrankheiten beschränken, anstatt sie auf komplexe Störungen von Geist/Gehirn anzuwenden? Schließlich gibt es keine Möglichkeit, die Ergebnisse selbst einfacher Veränderungen des menschlichen Genoms computertechnisch zu modellieren.

Hier kommen wir zu einer Analyse des Risiko-Nutzen-Verhältnisses - und zu unseren grundlegenden ethischen Werten, ihrerseits geformt durch unsere evolutionäre Vergangenheit. Damit eine Ausweitung der neuen reproduktiven Medizin nicht zu vorschnell experimentell erscheint, um auch nur darüber nachzudenken, sollte man sich ins Gedächtnis rufen, dass jeder Akt der altmodischen sexuellen Reproduktion selbst ein unerprobtes genetisches Experiment ist, das Ergebnis zufälliger Mutationen und meiotischen Mischens der genetischen Karten, bislang ohne Happy End. Wen müssen wir also des rücksichtslosen Spielens bezichtigen? Nach Stand der Dinge sind wir genetisch alle dazu verurteilt, zu altern und zu sterben; und im Laufe ihres Lebens durchlebt ein Großteil der Menschen Perioden intensiven psychischen Elends, beispielsweise Einsamkeit und Kummer nach einer unglücklichen Liebesbeziehung. Unsere Sozialprimaten-Biologie sorgt dafür, dass die meisten von uns bisweilen, in größerem oder geringerem Ausmaß, alle Arten hässlicher Zustände durchleben, die in der Umgebung unserer Vorfahren genetisch adaptiv waren, z. B. Eifersucht, Ärger und Zorn. Hunderte Millionen Menschen in der heutigen Welt leiden periodisch an Depressionen, andere leben mit chronischer Angst. Man könnte sagen, dass diese Phänotypen Teil dessen sind, "was es heißt, Mensch zu sein". Schlimmer noch, wir geben eine erbliche Prädisposition für diese schrecklichen Zustände an unsere Kinder weiter.

Biokonservative, religiöse Traditionalisten und Sozialreformer gleichermaßen würden dieser trostlosen Analyse widersprechen. Wenn man glaubt, dass das menschliche Leben heutzutage grundsätzlich gut ist, und fürchterlich unangenehme Seelenzustände lediglich Abweichungen sind, die meistenteils durch eine Verbesserung der Gesellschaft beseitigt werden können, braucht man überzeugende Argumente, bevor man das System der gewöhnlichen sexuellen Reproduktion, wie es jetzt existiert, verändern möchte. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden Sie alles wie die hier vorhergesagte reproduktive Revolution ablehnen, und sich hauptsächlich auf die möglichen Gefahren konzentrieren. Das Schreckgespenst einer "Brave New World" wird vermutlich in jeder Diskussion eine große Rolle spielen. Wenn Sie auf der anderen Seite denken, dass das darwin'sche Leben seiner ureigensten Natur nach grausam und tragisch ist, sind Sie vielleicht eher willens, radikale Alternativen zum genetischen Status Quo in Erwägung zu ziehen, trotz möglicher Risiken.

Meine eigene Ansicht bezüglich der Risiken und Unsicherheiten ist, dass ein entscheidender Unterschied besteht zwischen dem Versuch, das Leiden ausschließlich durch soziale Reformen abzuschaffen und der Abschaffung des Leidens direkt durch Biotechnologie. Wie wir wissen, gehen utopische soziale Experimente typischerweise schief, manchmal sogar entsetzlich schief, und verursachen stattdessen letztendlich eine Menge Leiden. Das abolitionistische Projekt vom Ausmerzen der biologischen Substrate des Leidens klingt gerade wie ein weiterer utopischer Plan, ob es nun als grandioses Spezies-Projekt angekündigt wird, oder einfach als ein Nebenprodukt der hier beschriebenen reproduktiven Revolution. Obwohl die Abschaffung von psychischem Schmerz im Prinzip wohl nicht mehr utopisch ist als schmerzfreie Chirurgie, könnte sie vermutlich ebenfalls in unerwarteter Weise schief gehen. Vielleicht schaffen wir ungewollt ein Narrenparadies. Aber falls wir jemals die molekularen Grundlagen von unangenehmen Erfahrungen abschaffen, und Leiden für jedes fühlende Wesen physisch unmöglich wird, ändern wir damit einhergehend auch die grundlegende Bedeutung dessen, was es heißt, dass etwas "schief geht". Unliebsame Überraschungen, bei denen niemand zu Schaden kommt, unterscheiden sich stark von unliebsamen Überraschungen, bei denen eben dies geschieht Wenn Sie mich fragen, ich denke, die Abschaffung ungewollten Leidens ist die Voraussetzung für jede zivilisierte post-humane Gesellschaft, und daher ein Risiko, das einzugehen sich lohnt.

Das Ende der sexuellen Reproduktion?

Gut, ich habe Gründe angeführt, anzunehmen, dass man sich in der Zukunft gegen unsere hässlicheren darwin'schen Emotionen entscheiden wird. Dennoch gibt es einen grundlegenden Einwand gegen das Selektionsdruck-Argument, das ich bislang skizziert habe. Sicher werden die meisten Menschen, nicht zuletzt Teenager, weiterhin auf sexuellem Weg Kinder produzieren, ohne Rücksicht auf eine so genannte reproduktive Revolution laborgestützter Zeugung. Ungeplante Schwangerschaften sind extrem häufig, selbst in einer Zeit, in der Verhütungsmittel weithin verfügbar sind. Ja, vielleicht werden verantwortungsvolle, weitsichtige Eltern sich bemühen, Kinder zu haben, die frei von genetischen Handicaps sind, freudvoll, ultra-intelligent, super-empathisch und psychisch robust; und vielleicht werden in der Zukunft solche verantwortungsvollen werdenden Eltern Präimplantations-Diagnose, Keimbahn-Therapie und einige der hier beschriebenen futuristischen Eingriffe anwenden. Aber das hält inkompetente Teenager nicht davon ab, ungeplant Babys zu bekommen. Darüber hinaus sind möglicherweise Milliarden von Menschen aus traditionellen moralischen oder religiösen Gründen, oder einfach aus Brauch und Gewohnheit, nicht bereit, die neuen reproduktiven Technologien anzunehmen. Es übersteigt die Vorstellungskraft, dass genetisch geplante Elternschaft jemals so gängig sein könnte wie, sagen wir, Anästhesie als Garant für eine schmerzfreie Chirurgie. Wenn die meisten fertilen Frauen weiterhin auf konventionellem Weg genetisch nicht-optimierte Babys gebären, wird sich dann unsere eingebaute genetische Tendenz zu allen Formen darwin'schen Leidens unendlich ausdrücken?

Vielleicht. Es ist ein starkes Argument. Doch es gibt gewichtige Gründe, anzunehmen, dass die sexuelle Reproduktion im traditionellen Stil nicht länger als noch ein paar Generationen fortbestehen kann. Dies hängt mit der kommenden Revolution in der Anti-Aging-Medizin zusammen.

Durch den größten Teil der Menschheitsgeschichte war eine radikale Verlängerung des Lebens, ganz zu schweigen von der Aussicht auf ewige Jugend, die Domäne von Quacksalbern und Scharlatanen. Bis zu einem gewissen Grad ist dies noch immer der Fall: Wenn man täglich eine Unmenge Vitaminpillen schluckt, so lebt man davon nicht ewig. Aber in den nächsten Jahrhunderten, möglicherweise schon vorher, wird das Altern, bzw. die Gene, die eine Vergreisung befördern oder zulassen, immer weiter ausgemerzt. Das ist natürlich eine gewagte Behauptung, und ich versuche noch nicht einmal, diese hier im Detail zu verteidigen. Wenn Sie skeptisch sind und das Buch noch nicht gelesen haben, empfehle ich Aubrey de Grey's Ending Aging: The Rejuvenation Breakthroughs That Could Reverse Human Aging in Our Lifetime (2007). Was den Zeitrahmen angeht, so bin ich pessimistischer als Aubrey de Grey. Doch die genetischen und pharmakologischen Eingriffe, die wir schon an nicht-menschlichen Tieren testen, werden schließlich auch am menschlichen Tier erprobt werden. Man zögert, etwas anzunehmen, was wie ein banaler technologischer Determinismus klingt, aber ich denke, man kann sagen, recht dogmatisch, dass, wenn radikale Anti-Aging-Technologien zur Verfügung stehen, die überwältigende Mehrheit der Menschen diese auch nutzen wird - ungeachtet irgendwelcher Rationalisierungen über den Tod und das Altern, die wir jetzt äußern. Zudem werden die meisten Leute solche Behandlungen auch für ihre Haustiere wollen. Die Anti-Aging-Revolution wird nicht auf eine Spezies beschränkt bleiben.

Lassen Sie uns der Argumentation halber annehmen, dass dies der Fall ist, dass es also sowohl eine reproduktive Revolution als auch eine Anti-Aging-Revolution geben wird. Wenn die post-genomische Medizin die Lebenserwartung drastisch verlängert, und immer weniger Menschen an den traditionellen Alterskrankheiten sterben, dann wird die Aufnahmefähigkeit unseres Planeten bald erschöpft sein. Schaut man Jahrhunderte voraus, dann bedeutet eine sich rapide ausbreitende Population von ewig jugendlichen Quasi-Unsterblichen, dass menschliche Reproduktion jeglicher Art selten und schließlich zu einem in jeder Hinsicht streng kontrollierten, bedeutsamen Ereignis werden muss. Genau hier sehe ich sowohl die größten ethischen Dilemmas, die sich aus der reproduktiven Revolution ergeben, als auch die enge Verbindung zwischen Superglück, Superintelligenz und Superlanglebigkeit.

Selektionsdruck in einem Zeitalter der Quasi-Unsterblichkeit

Wenn die Erde die Grenzen ihre Aufnahmefähigkeit erreicht hat - die maximale Packdichte an fühlenden Wesen, die ein nachhaltiges Leben erlaubt - muss es eine erheblich größere zentrale Kontrolle des menschlichen Reproduktions-Systems geben, um der Gefahr einer vollständigen Malthusianischen Katastrophe zu entgehen. Diese Vorhersage klingt wahrhaft düster. Vielleicht kann man sich ein System zur obligatorischen Depot-Kontrazeption von frühem Alter an vorstellen. Doch kann Depot-Kontrazeption wirklich ausfallssicher gemacht werden? Wie wäre eine solche Fertilitätskontrolle durchzusetzen? Überdies liegt das Problem nicht nur in der Vermeidung reproduktiver Unfälle. Der Drang, "eigene" Kinder zu haben, kann extrem stark sein, wie die Qualen ungewollter Kinderlosigkeit in der heutigen Zeit belegen; und für viele kinderlose Paare könnte diese Sehnsucht alle generellen Bedenken über die Aufnahmefähigkeit des Planeten ausblenden. Eine Mehrheit der Menschen will beides: immer jung bleiben und Kinder haben. Wenn radikale Anti-Aging-Technologien tatsächlich weithin angenommen werden, dann könnte eine zentrale und naturgemäß aufdringliche Kontrolle der menschlichen Reproduktion unumgänglich werden, wobei man nur hoffen kann, dass solche Befugnisse einer demokratischen Kontrolle unterstehen. In einem Zeitalter der Superlanglebigkeit wird jeder intellektuell kompetente Bürger wahrscheinlich einsehen - theoretisch - dass eine unbegrenzte freie Fortpflanzung physisch unmöglich ist. Auf der anderen Seite werden einige Menschen vermutlich versuchen, unkontrollierte, ungenehmigte Kinder zu bekommen, so, wie es heute in der Volksrepublik China (VRC) der Fall ist, auch ohne das Versprechen ewiger Jugend. Dies ist keine attraktive Parallele. Natürlich gibt es in Verbindung mit Massen-Superlanglebigkeit noch andere soziale Tücken: im Zeitalter der genetisch vorprogrammierten Jugend könnte sich die regierende Macht-Elite als beinahe unveränderbar erweisen, wenn es keine angemessenen demokratischen Schutzmechanismen gibt. Aber der mögliche Verlust körperlicher Autonomie und prokreativer Freiheit ist für das liberale Gewissen besonders beunruhigend - und für jeden libertären Lebens-Extensionisten.

Ein Gegenargument hierzu ist, dass der Drang, Kinder zu gebären, unter genetischer Kontrolle ist, und dass der Drang seinerseits für biologische Eingriffe zugänglich ist. Die Manipulation unserer Begierden erster Ordnung dürfte sich wohl als biologisch einfacher herausstellen als die Bekämpfung des Alterns. Doch wenn die meisten optimierten Mitbürger verantwortungsvoll handeln, und auf Reproduktion verzichten, oder sie verschieben, dann könnte jegliche Prädisposition, zu "mogeln" und Kinder zu haben (genetisch) höchst adaptiv sein, zumindest auf kurze Sicht. Ein solches Ergebnis wäre in einer ohnehin schon überbevölkerten globalen Megapolis verheerend. Glaubhafte gruppen-selektionistische Szenarien sind selbst für die entfernte Zukunft nicht einfach zu konstruieren. Daher ist der Preis für post-humane Superlanglebigkeit die Wahrscheinlichkeit einer immer größeren staatlichen Einflussnahme in (bislang) privaten Bereichen - obwohl ein solches Eindringen subjektiv nicht als erschreckend wahrgenommen werden muss in der Art, wie wir es heute erleben würden, da die funktionalen Analogien von erschreckend genügen würden. Lange vor jeglichem Zeitalter einer post-genomischen Medizin glaubte Plato, dass menschliche Reproduktion vom Staat beobachtet und kontrolliert werden sollte, ein böse Vorahnung späterer totalitärer Gesellschaften. Doch wenn wir die Biologie der menschlichen Sterblichkeit überwinden, dürfte sich, selbst in einer liberalen Demokratie, eine Form von kollektiver Kontrolle der reproduktiven Entscheidungen als unumgänglich erweisen. Die einzige Alternative zu einer solchen Kontrolle wäre die drakonische, staatlich reglementierte Rationierung von Anti-Aging-Behandlungen; eine kaum vorstellbare Neuinszenierung von Logan's Run. Es ist wichtig, anzumerken, dass dieses Argument nicht davon abhängt, ob die letztliche Aufnahmefähigkeit unseres Planeten 15 Milliarden oder 150 Milliarden beträgt, oder möglicherweise noch höhere Packdichten. Ja, wir können das Sonnensystem kolonisieren. Theoretisch könnten sogar, in der fernen Zukunft, die Behörden auf der Erde jedem, der ein Kind haben möchte, sagen, dass dies auf einem der extrasolaren Planetensysteme zu geschehen hat, die wir kolonisieren. Aber zumindest für die nächsten paar Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende, ist die Aussicht auf irgendeine Art von galaktischer adaptiver Radiation reine Science-Fiction. Man kann die technischen Schwierigkeiten eines massenhaften intergalaktischen Reisens kaum überschätzen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden Post-Humane nach den Sternen greifen, und vielleicht sogar unseren lokalen galaktischen Supercluster kolonisieren, in ein paar Millionen Jahren oder so. Realistisch betrachtet löst dies jedoch nicht die kurzfristige demographische Herausforderung einer massiv überfüllten Erde.

Zugegeben, ich gehe hier von einer Reihe anfechtbarer Annahmen aus. Ich will nur drei davon nennen. Erstens: Das intelligente Leben wird sich innerhalb der nächsten paar Jahrzehnte nicht gänzlich selbst auslöschen [Endzeit-Szenarien sind zwar denkbar, jedoch sind sie wesentlich schwieriger zu konstruieren, sobald später in diesem Jahrhundert autarke Kolonien auf anderen Planeten errichtet worden sind.] Zweitens: Es gibt eine eindeutige Vergangenheit und eine eindeutige Zukunft [diese vereinfachende Behauptung stimmt nicht mit der Quanten-Kosmologie überein und ist wahrscheinlich falsch. Jedoch würde uns die Berücksichtigung des "Zweig-Dichte"-Maßes von alternativen, klassisch nicht-äquivalenten Geschichten in der post-Everett'schen Quantenmechanik zu weit vom Thema dieses Vortrags abbringen]. Drittens: Im Gegensatz zu Futuristen, die an "Uploading" glauben, gehe ich davon aus, dass unsere (post-)humanen Nachfahren ihr organisches Substrat behalten werden - vielleicht erweitert mit internetfähigen Neurochips, Nanobots, bionischen Implantaten und dergleichen - und dass sich die Menschheit daher nicht scannen, digitalisieren und "uploaden" wird, um in einem anderen, rechenbetonten Medium zu leben, in dem die Beschränkungen des irdischen Ökosystems nicht gelten. [Es gibt keinen Beweis, dass ihr PC über ein größeres Bewusstsein verfügt als ein Abakus, trotz seiner höheren Rechenleistung; und wenn eine aufgemotzte Version Ihres PCs eine digitalisierte Repräsentation Ihrer selbst enthält, so würde dies ohne Zweifel die Erstellung von Back-Ups erleichtern; aber es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass solche Code-Zeilen bewusst sind, geschweige denn "Sie". Ja, künstliche Intelligenz wird die reproduktive Revolution beschleunigen; und vielleicht sind wir eines Tages alle internetfähige Cyborgs. Und wer weiß, welche Arten von exotischen post-biologischen künstlichen Lebensformen entstehen können, wenn unsere Nachfahren ausgereifte Quanten-Computer benutzen. Doch es gibt schlicht keinen Beweis dafür, dass anorganische Systeme mit einer klassischen von-Neumann-Architektur "Qualia" unterstützen oder an sich etwas bedeuten; die Idee, dass unsere Spezies sich destruktiv von einer Basis-Realität in ein digitales Nirwana uploaden könnte, ist nicht durchführbar.] Zumindest hier bin ich also ein wenig biokonservativ und gehe davon aus, dass die Erde in tausend Jahren eine dicht besiedelte primordiale "fleischliche Welt" sein wird, bevölkert mit unseren post-humanen Nachfahren aus Fleisch und Blut.

Wie auch immer, nehmen wir zusammenfassend an, dass die Schaffung von neuen, quasi-unsterblichen Wesen später in diesem Jahrtausend wirklich äußerst selten sein wird. Die Erde wird im wahrsten Sinne des Wortes (fast) voll sein. Ich behaupte, dass zu solchen historischen Anlässen wie bei der Schaffung eines neuen post-humanen Wesens, es sehr unwahrscheinlich sein dürfte, dass superglückliche, superintelligente Agenten die genetische Malware für ein unangenehmes, dummes, seniles Bewusstseins-Subrat erzeugen, also den archaischen Homo Sapiens. Es ist wahrscheinlicher, dass unsere post-humanen Nachfahren stattdessen "smarte Engel" wie sie selbst schaffen werden. Der Triumph der reproduktiven Revolution wird die post-darwin'sche Fitness-Landschaft bis zur Unkenntlichkeit verändert haben. Daher meine (vorläufige) Voraussage, dass die Biologie von Leiden und Seneszenz zur evolutionären Vergangenheit werden wird.

David Pearce (2008)
The Reproductive Revolution (English orig.)
with many thanks to translator Stefan Meid (2010)
(siehe auch 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 )



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